WISSEN & IMPULSE
MFT und der Buccinatormechanismus
Liebe, lieber MFT-Interessierte!
Liebe Kollegin, lieber Kollege!
Der Buccinator-Mechanismus (benannt nach dem Buccinator-Muskel (Musculus buccinator)) spielt eine zentrale Rolle bei allen oralen Funktionen, insbesondere bei der Nasenatmung, bei Ruhe-Weichteil-Beziehungen, bei der Nahrungsaufnahme (saugen, kauen und schlucken) und der Artikulation.
Fehlfunktionen bei Orofazialen myofunktionellen Störungen (OMS) zu erkennen und die physiologische Funktion des Muskels zu erreichen, sind wesentliche Ziele in der MFT.
Diesem Thema widmet sich der aktuelle Blogbeitrag des MFT-Zentrums – dieses versteht sich als interdisziplinäre Wissensplattform „rund um den Mund“.
Basiswissen: Der Buccinator-Mechanismus und seine Funktionen
Der Buccinator-Mechanismus besteht aus drei Muskeln:
- Musculus orbicularis oris (Lippen)
- Musculus buccinator (muskuläre Grundlage der Wangen)
- Musculus constrictor pharyngis superior (Teil der Rachenmuskulatur)
Diese drei Muskeln funktionieren als Muskelkette und spielen eine wichtige Rolle bei allen lebenswichtigen Funktionen.
Der Buccinator-Mechanismus hat bereits beim Neugeborenen eine essenzielle Funktion, wo er beim Saugen an der Brust für die Koordination von Wangen-, Lippen- und Zungenmuskulatur sorgt. Diese ermöglicht einen effektiven Saug-Schluck-Mechanismus.
Hier arbeiten die Muskeln zusammen, um sich an die Form der Brustwarze / des Ernährungssaugers anzupassen. Die Lippen umfassen den gesamten Warzenvorhof und umschließen die Brustwarze. Durch die Kontraktion des M. orbicularis oris erhöht sich die Kontraktionskraft der Wangen entsprechend dem Widerstand. Dadurch erhöht sich die Spannung im M. buccinator, die Wangen nähern sich der Mitte des Mundraums an und der intraorale negative Druck (Unterdruck im Mundraum) nimmt zu.
Durch kontrollierte Muskelaktivität in Wangen und Lippen reguliert der Säugling aktiv den Milchfluss. Der Buccinator-Mechanismus hilft dabei, dass die Milch nicht vorzeitig aus dem Mund ausläuft.
Beim Kauen ist ein intakter Buccinator-Mechanismus essenziell für einen sicheren, geordneten und physiologischen Kauprozess. Um zu verhindern, dass die Nahrung in das Vestibulum fällt, benötigen wir eine Zunahme der Spannung der gesamten Muskelkette. So gelingt es, die Nahrung während der Inzisionsphase (Abbeißphase) in Kontakt mit den vorderen Schneidezähnen und während der Triturationsphase (Zerkleinerungsphase) mit den Backen- und Mahlzähnen zu halten.
Der Buccinator-Mechanismus hat auch eine zentrale Bedeutung beim Schlucken, insbesondere im Bereich der oralen Phase des Schluckakts. In dieser Phase wird der Speisebolus im Mund vorbereitet und gezielt zur Schluckeinleitung in den Rachen (Pharynx) transportiert. Der M. buccinator bzw. der Buccinator-Mechanismus hilft dabei, den Nahrungsbolus richtig zu formen und mittig zu zentrieren. Dies ist eine wichtige Fähigkeit, um das physiologische Schlucken zu habitualisieren.
Kennst du die entsprechenden Übungen?
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Beim sogenannten infantilen Schluckakt (Saugschlucken) im Rahmen einer OMS spielt der Buccinator-Mechanismus eine besondere Rolle, da das muskuläre Zusammenspiel in dieser Phase noch nicht ausgereift und automatisiert ist. Beim Säugling wird die Mandibula noch nicht durch die Unterkieferheber stabilisiert, sondern hauptsächlich durch den M. orbicularis oris und den M. buccinator.
Beim reifen Schluckakt (Kauschlucken) ändert sich diese Funktion des Buccinator-Mechanismus. Dieser ist zuständig für einen guten Lippenschluss und dafür, dass beim Schlucken die weichen Teile der Mitte der Mundhöhle angenähert werden, um so den intraoralen Druck zu erhöhen. Dies ermöglicht den Zunge -Gaumen-Kontakt beim physiologischen, reifen bzw. erwachsenen Schluckmuster.
Der Buccinator-Mechanismus reguliert auch den oralen Muskeltonus und ist essenziell für eine balancierte Funktion zwischen innerem und äußerem Funktionskreis (Meilinger 1999; Tränkmann 1988), ausgelöst durch den physiologischen Lippenkontakt. Der formende Einfluss beider Funktionskreise ist besonders während des Schädelwachstums und der Gebissentwicklung gegeben.
Der Rehabilitationsarzt Dr. Rodolfo Castillo Morales sah den Buccinator-Mechanismus nicht isoliert, sondern als Teil eines ganzheitlichen Muskel-Funktionssystems, das eng mit Atmung, Haltung, Wahrnehmung und Kommunikation verbunden ist. Castillo Morales hat die Bedeutung des Buccinator-Mechanismus in der Logopädie etabliert und so die MFT um wichtige Übungen erweitert und zur Entwicklung der MFT nach Garliner beigetragen. (R. Castillo Morales, 1991)
Die Funktionstüchtigkeit des Buccinator-Mechanismus ist die Grundlage für den Kontakt zwischen Ober- und Unterlippe und deshalb essentiell für die Entwicklung und spätere Stabilisierung des Gebisses. (M. Furtenbach, 2016)
Der Buccinator-Mechanismus: Anatomisch-funktionelle Grundlagen
Um in Folge Patient:innen bei der Durchführung der Übungen anleiten und korrigieren zu können, ist es notwendig, den Buccinator-Mechanismus im Detail zu verstehen.
- Initiale Muskelaktivierung:
Der Musculus orbicularis oris kontrahiert nach vorne, d. h. die Lippen werden aktiv zusammengeführt und leicht protrudiert.
- Folgereaktion der Wangenmuskulatur:
Durch die Lippenkontraktion wird der M. buccinator nach vorne gezogen und aktiviert.
Die Wangen pressen sich nach medial (zur Mitte hin), was das Lumen (Innenvolumen) der Mundhöhle seitlich einschränkt.
- Volumenreduktion – Raumformung:
Diese seitliche Kompression reduziert das Lumen des oralen Raums und ein intraoraler negativer Druck kann entstehen.
Das bedeutet: Nur, wenn der M. orbicularis oris nach vorne aktiviert wird, kommt die Zugverkettung M. orbicularis oris – M. buccinator – M. constrictor pharyngis in Gang.
Warum ist die Lippenkontraktion entscheidend?
Die Lippen erzeugen durch ihre Spannung und Position einen Zug am Wangenmuskel, der diesen vorspannt – nur so kommt es zu einer effektiven Verkleinerung des oralen Lumen, was wiederum:
- den Zungendruck nach oben lenkt,
- einen definierten Raum für Zungenlage/Bewegung schafft,
- Fehlfunktionen (z. B. Zungenvorstoß) vorbeugt.
Nur so wird physiologisch richtig gesaugt!
Der Buccinator-Mechanismus in der MFT
Saugübungen sind in der MFT ein wichtiger Bestandteil zur Förderung und Aktivierung des Buccinator-Mechanismus und essenziell, um ein physiologisches Schlucken zu erreichen. Ziel der Saugübungen ist es, den Zunge-Gaumen-Kontakt beim Schlucken herzustellen und bis zur Schluckreflextriggerung zu halten. Dabei ist es wichtig, genau darauf zu achten, WIE die Patient:innen die Saugübungen ausführen.
Anhand dieses Fotos (© TalkTools®) lässt sich gut erklären, worauf wir achten müssen, wenn wir in der MFT das Saugen üben. Es finden sich nämlich einige Fehler in der Umsetzung.
- Was können wir auf dem Foto sehen? Wird gesaugt? Wird getrunken?
- Was soll diese Übung bezwecken? Was ist das Ziel dieser Übung?
- Was bezweckt der TalkTools®-Trinkhalm?
- Schauen wir genau hin? Welche Muskeln sehen wir aktiviert?
- Welche orofazialen Muskeln wollen wir durch diese Übung aktivieren?
Die Ausführung der Übung auf diesem Bild ist nicht korrekt: Die Lippen werden nicht nach vorne protrudiert, sodass sich die Unterlippe einsaugt und die Oberlippe die Funktion kompensieren muss.
Beim Einsaugen deiner Unterlippe wirst du feststellen, dass die Zunge daran beteiligt ist.
Möchtest du mehr darüber wissen und die verschiedenen Möglichkeiten der Saugübungen selbst erfahren – und ausprobieren und lernen, wie du deine Patientinnen und Patienten korrekt anleitest?
Die Modulreihe MFT KOMPAKT 2.0 bietet Praxisseminare an. Dort erfährst du, wie du die Übungen selbst korrekt ausführst. Damit erzielst du rasche und nachhaltige Therapieerfolge.
Wir freuen uns auf Deine Teilnahme!
Das MFT Zentrum (Alexandra Schick & Carolin Adam)